Sonntag. Mina ist anspruchsvoll drauf. Ich vermute, der morgige Schulanfang erhöht ihren inneren Stress. Als erstes will sie einen Wutball basteln. Oder heisst es Mutball?! Wie auch immer: Dafür kippt man Mehl in ein Säckchen, knotet es zu und drückt das Mehlsäckchen in einen Ballon, dem man zuvor den Hals gekürzt hat. Kompliziert, ich weiss. Umgekehrt darüber kommt der zweite abgeschnittene Ballon. Mina will, dass ich ihr den Ballon aufspanne, damit sie das Säckchen reindrücken kann. Ich sehe sofort, dass das Mehlsäckchen zu prall gefüllt ist und kaum in den Ballon passen wird. Aber wenn ich ihr das sage, flippt sie sicher aus, befürchte ich. "Du musst es so halten", raunzt Mina mich an. Ich versuche zu erraten, wo ich meine Finger genau hinhalten soll. Als das nicht funktioniert, frage ich: "Wie muss ich meine Finger denn genau halten, Mina?" Doch Mina ist nicht in der Stimmung für Erklärungen. Nach zwei vergeblichen Versuchen schreit sie mich an: "Geh weg, ich mach' das alleine!" Sehr gerne entferne ich mich aus der Wutzone. Oder heisst es Mutzone?! Schon bald höre ich Mina frustriert aufschreien. Kein Wunder, das Säckchen ist ja auch viel zu stark gefüllt.
"Leider kann man ihr nicht helfen," sage ich zu meinem Mann, der alarmiert daherkommt. "Mina will es alleine machen." Ein paar Minuten noch höre ich, wie Mina mit dem zu grossen Säckchen kämpft. Dann wird es still. "Mami, kommst du mal?" Ein seltsame Stimme hat sie, denke ich. Als ich im Wohnzimmer ankomme, sitzt Mina mucksmäuschenstill auf ihrem Stuhl. Ihr Gesicht ist komplett weiss eingemehlt. Oje, das Säckchen ist geplatzt... Alles ist voller Mehl: Der Tisch, der Stuhl und der Boden unter Minas Füssen. Dafür scheint Mina selbst für den Moment innerlich ruhiger zu sein.
Doch schon bald geht es weiter mit ihren Forderungen: Mina möchte, dass ich in ihr Zimmer zum Spielen komme. 10 Minuten spielen wir mit den Legosteinen. Dann fällt mir ein, dass ich ich meinem Mann noch sagen muss, wieviel von den gekochten Kartoffeln er für die Bratkartoffeln nehmen kann. Den Rest brauche ich für eine Cholera-Wähe. "Mina, ich gehe schnell zu Papa", sage ich. Ou, das Rezept für die Wähe muss ich ja auch noch ausdrucken, kommt mir in den Sinn, als ich zur Türe hinausgehe. Deshalb gehe ich zuerst in mein Zimmer zum Drucker. Aber als ich dann das Zimmer mit dem Rezept in der Hand wieder verlassen will, erscheint Mina aus dem Nichts, schliesst die Tür und lässt mich nicht mehr raus. O weh, sie wusste nicht, dass ich noch etwas ausdrucken muss, bevor ich in die Küche gehen kann, um mit meinem Mann über die Kartoffeln zu reden! Ich hätte ihr das sagen müssen, erkenne ich. Aber mit einem Mal ist mir alles zu viel: Mina in ihrem gestressten, fordernden Zustand, die Mehlküche, die Kartoffeln, das Legospielen, die Türe, die sie zuhält...
"Wieso schaust du so komisch?", will Mina wissen. "Ich bin traurig, weil ich dich jetzt auch noch von der Türe wegdrücken muss, andauernd mit dir spielen müsste und noch nicht mal Zeit hatte zum Duschen", antworte ich ehrlich. "Hör auf damit", verlangt Mina. "Mit dem Traurigsein, meinst du?", sage ich und muss lachen. "Das kann ich nicht einfach abstellen, weisst du." "Dann geh halt duschen und sag dem Papa das mit den Kartoffeln, wenn du musst", sagt Mina. Anschliessend spielt sie eine Stunde für sich in ihrem Zimmer und singt dabei. Momentan grüner Zustand, denke ich erleichtert. Dass Mutter-Selbstoffenbarungen einen so positiven Effekt auf das Kind haben können...
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