Mina setzt sich mit unserem Gametablet auf meine Knie - und steht einfach nicht mehr auf. Ich werde zapplig und ungeduldig, denn ich will aufstehen und etwas tun. Wieso steht sie nicht auf? „Mina, warum bleibst du auf mir sitzen? So kann ich ja gar nicht mehr weg.“ Mina dreht sich zu mir um und lacht spitzbübisch: „Das ist halt so, Mami. Du bist eben mein Akku!“. Sagts und spielt weiter.
"Mami, versprichst du, dass du immer bei mir bleiben wirst?". „Das kann ich dir nicht versprechen, Mina.“ "Mami, wann stirbst du?" „Das weiss ich auch nicht.“ Dafür wisst ihr jetzt, womit ich es in letzter Zeit bei Gesprächen mit Mina zu tun habe. Vorzugsweise dann, wenn wir abends bei Mina im Bett liegen und noch etwas plaudern, platzt sie mit den schwierigsten Fragen heraus. So auch heute Abend. Wir haben über den Tag gesprochen, Mina liegt an mich gekuschelt da, und eigentlich fehlt nur noch mein Feierabend. Aber dann kommt wieder so etwas. Und diesmal ist es keine Frage: „Mami, wenn du stirbst, dann mache ich mich auch tot.“ O Mann, was sagt man zu so etwas?!? Spontan fällt mir nichts Besseres ein als: „Ja, ich kann verstehen, dass du so denkst.“
Wenn ich mir überlege, woher Minas Interesse an diesen Themen kommt, fällt mir ein, dass es einen guten Grund für Minas Fragen gibt: Nachdem bei uns innerhalb eines Jahres beide Grosseltern väterlicherseits gestorben sind, sind Minas Fragen über den Tod nur folgerichtig und logisch. Ich glaube, ich muss ihr mal sagen, dass ich zuversichtlich bin, dass sie dann trotzdem die Kraft und Freude finden wird, ohne mich weiterzuleben, wenn ich einmal sterbe.
Doch schwierige Fragen sind nicht meine einzige Hausforderung im Moment: Seit gestern sind wir von den Herbstferien im Jura zurück. Beim Runtertragen des Gepäcks zum Auto am Abreisetag habe ich mir irgendwie das Knie verrenkt. Jedenfalls habe ich seitdem stechende Schmerzen, wenn ich die Knie beugen oder die Treppe rauf- runtergehen will. Mina ist auch gestresst, seit wir wieder daheim sind, und ich kann es ihr nicht recht machen. Am Montagmorgen immer noch dasselbe Bild. Als mein Knie weiterhin schmerzt, und der Computer nur Error anzeigt, als ich Mina ein Affenausmalbild ausdrucken will, sage ich zu ihr: „Jetzt raste ich dann gleich aus." Will heissen, meine Nerven liegen grad blank. Minas Gesicht verzieht sich und sie schreit mich an, ich solle aus dem Zimmer gehen. Nichts geht mehr. Wie sollen wir nur diesen Tag miteinander überstehen? Ich rufe den Hausarzt an und mache einen Termin wegen des Knies aus. Mina schaut mich böse an, als ich sie frage, ob sie mitkommen will. Ach ja, und Einkaufen muss ich vorher auch noch. "Soll ich schon mal ohne dich einkaufen gehen, und du bleibst daheim, bis ich wiederkomme, Mina?“ 45 Minuten allein zu Hause bleiben kann Mina nämlich schon. Als Antwort höre ich nur ein Knurren. Ich bin so frustriert, dass ich aus dem Zimmer laufe.
Ich fühle mich komplett blockiert mit diesem Kind. Wie soll ich einkaufen und zum Arzt gehen, wenn Mina so drauf ist? Ich versuche, mich in sie hineinzuversetzen. Doch heute gelingt es mir nicht. Als ich Mina versuchsweise über den Rücken streiche, knurrt sie wieder. Trotzdem scheint in ihren Augen etwas aufzublitzen. Also noch weniger als tatsächlich berühren. Hmm… ich könnte das Containment versuchen. Ich gehe einen Schritt zur Seite und beginne mich hin- und herzuwiegen. Nun muss Mina lachen. Immerhin. Jetzt kann ich allein einkaufen gehen. Als ich ihr am Mittag den Hörnliteller an ihren Platz stelle, hält sie ihren Kopf gesenkt und murmelt etwas, das ich nicht verstehen kann. „Was sagst du, Mina?" Mina behält den Kopf weiterhin unten, aber ihre Stimme ist nun besser zu hören: „Ich weiss, dass du mich nicht mehr lieb hast..."
Unglaublich. Das plagt sie also? "Mina, so ein Quatsch! Ich habe dich immer lieb. Sogar wenn ich sage, ich raste jetzt dann gleich aus, habe ich dich immer noch lieb. Vor allem, wenn es wegen meinem schmerzenden Knie und dem blöden Compi ist, der nicht recht funktioniert. Sogar wenn ich sagen würde, ich habe dich nicht mehr lieb, dann habe ich dich immer noch lieb." Mina hebt den Kopf und grinst. Gut, der Giftstachel scheint gezogen…
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