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Mutti wirft den Bettel hin

  • Caroline
  • 7. Aug.
  • 4 Min. Lesezeit

Gestern reichte es mir. Nach einer anstrengenden Woche mit Mina hatte ich endlich wieder mal einen freien Abend, den ich mit meinem Vater in einem Mozartkonzert verbringen wollte. Leider musste er im letzten Moment wegen Magenkrämpfen absagen. So ging ich alleine zum Konzert und kam um 23 Uhr gut gelaunt nach Hause. Allerdings fragteich mich, was mich wohl daheim erwarten würde. Ihr kennt mich - natürlich hoffe ich das Beste…


Was denn mit Mina so schwierig gewesen war? Alles hatte mit dem Pfingstlager der Pfadi zu tun, zu dem Mina gerne hin wollte. Dafür müsse sie aber unbedingt einen neuen Schlafsack und einen „mittelgroßen neuen Rucksack“ haben, meldete sie schon zwei Wochen vorher an. Pfadi- und Outdooraktivitäten fallen für mich in Romeos Zuständigkeitsbereich. Wirklich darüber geredet haben wir aber nie. Sieben Tage vor Pfingsten ging mein Mann auf meine Bitte hin mit Mina in den Keller und schaute mit ihr unsere Schlaf- und Rucksäcke durch, die teilweise noch aus dem letzten Jahrtausend stammen. Einen neuen Schlafsack bewilligte er sofort. Einen neuen Rucksack fand mein Mann aber unnötig und sagte zu Mina: „Deine grossen Schwestern haben in ihrer Pfadizeit auch die gleichen Rucksäcke gehabt.“ Aber Mina stürmte immer weiter. Worauf wir das Thema fallen ließen.


Mitte Woche pilgerten Romeo und Mina zum Decathlon und kauften den neuen Schlafsack. „Und was ist mit dem mittelgrossen Rucksack?“, fragte ich. „Den kaufe ich ihr nicht auch noch“, erwiderte Romeo grummelig. Wenn das nur gut kommt, dachte ich, wollte mich aber nicht einmischen. Am Freitag Morgen fiel Mina gleich beim Erwachen in den roten Zustand:. „Wenn du mir jetzt nicht sagst, dass ihr mir den mittelgrossen Rucksack kauft, gehe ich heute nicht in die Schule. Und ins Pfingstlager morgen auch nicht, hörst du?!“ Erraten, innerlicher tiefer Seufzer. „Mina, in die Schule muss man sowieso. Aber es stimmt, deine Beine müssen morgen selber ins Pfingstlager gehen. Wenn du nicht losläufst, kann ich nichts machen. Und über einen neuen Rucksack entscheidet Papa.“ Das bereitwillige Eingeständnis meiner Machtlosigkeit gegenüber ihrem freien Willen brachte Mina wieder ein wenig runter. Trotzdem war ich fix und fertig, als sie schließlich in die Schule abzottelte.


Beschwingt von Mozarts Violinkonzerten öffne ich nun die Wohnungstür. Bestimmt hat Romeo mit Mina heute Abend den Rucksack gepackt, und alles ist bereit für das Pfingstlager, das morgen um 10.00 Uhr beginnt. Und hoffentlich hat er mit ihr auch endgültig geklärt, dass es keinen neuen Rucksack gibt. Oder ihn doch noch mit ihr gekauft und dann gepackt.


Romeo liegt gechillt auf dem Sofa im Wohnzimmer und hört laut „Wind of Change“ von den Scorpions im Radio. Gut, er ist noch wach. „Na, alles bereit für morgen?“, frage ich zur Begrüssung. „Nein, wieso? Du musst ja dann morgen eh noch mit Mina in den Decathlon, um den Rucksack zu kaufen, den sie unbedingt will.“ Echt jetzt?!? Frustration und Wut steigen in mir hoch. „Hast du das noch immer nicht geklärt mit ihr? Morgen um 10.00 ist Antreten. Und du hast nichts gepackt?!?“ Nun geht mein Mann in den Verteidigungsmodus: „Ist ja dann schnell gemacht.“Mich überkommt eine grosse Müdigkeit, und die Tränen sind mir zuvorderst. Ich habe das Gefühl, ich schaffe das alles nicht mehr. Und sage:


„Wenn alles so schnell gepackt ist, dann mach es doch jetzt noch, Romeo. Ich gehe morgen auf keinen Fall mit Mina noch in einen Laden.“ „Vielleicht habe ich dir das nie so gesagt, aber nur schon das Packen für diese Pfadianlässe ist jedesmal ein riesiger Berg für mich. Ich wünschte, du würdest das jeweils machen; du bist doch der Outdoortyp und ehemaliger Pfadileiter.“ „Und ich brauche es auch, dass du morgen da bist.“ “Ich bin doch immer da“, erwidert Romeo verständnislos. „Ich meine nicht nur körperlich anwesend. Was ich brauche ist, dass du Mina nach dem Aufstehen stabilisierst und sie nicht noch rauftriggerst mit deinen Ansprüchen, wie ein Kind sein sollte. Ich sage dir ganz ehrlich: Wenn Mina morgen vor der Abreise aufstickt und in den roten Zustand fällt, gehe ich einfach aus der Wohnung. Diesmal stehe ich nicht zur Verfügung.“ Romeo schaut mich prüfend an. Wahrscheinlich möchte er herausfinden, ob ich einfach streiten will oder es wirklich ernst meine. Ich schätze, mein Gesichtsausdruck verrät ihm, dass ich jedes Wort so meine und tatsächlich am Ende meiner Kräfte bin.


Und so geht mein Mann eine halbe Stunde vor Mitternacht in den Keller und sucht die Dinge zusammen, die Mina morgen mitnehmen muss. Natürlich legt er sie dann provokativ in die Mitte des Ganges, so dass ich sie genau sehe und drumherumlaufenn muss. Geschenkt, denke ich, und lege meine Arme um ihn: „Danke, dass du das jetzt noch gemacht hast. Das bedeutet mir viel.“ Wieder schaut mich Romeo abschätzend an. Hätte er wohl nicht erwartet.


Am nächsten Morgen erwache ich um halb neun. Eigentlich habe ich damit gerechnet, dass Mina mich um sieben Uhr weckt und wieder mit dem Rucksack-Theater beginnt. Verschlafen reibe ich die Augen und tappe ins Wohnzimmer. Niemand zu sehen. Kann es sein, dass Romeo gerade mit Mina im Decathlon ist und ihr den mittelgroßen Rucksack kauft, während ich friedlich geschlafen habe? Ich muss grinsen. Dann treffen die beiden ein. Mina zeigt mir freudestrahlend ihre Neuerwerbung und Romeo packt alles ein. Dann sagt er: „Ich habe mit Mina abgemacht, dass ich sie mit dem Gepäck im Auto hinfahre. Dich braucht es dabei nicht.“ Diesmal bin ich es, die staunt.


Als Romeo vom Mina-Abliefern zurückkommt, fragt er: „Hand aufs Herz: Du wärst jetzt nicht wirklich abgehauen, wenn Mina in den roten Zustand gefallen wäre, oder?“ „Tja…“, sage ich, und zwinkere ihm zu. Aber euch kann ich es ja verraten: Natürlich wäre ich gegangen, denn auch Pflegemütter sind nur Menschen…


ree

 
 
 

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