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  • Caroline

Mami, du losisch mir nie zue!

Freitag Morgen. Ich wecke Mina wie immer zur gleichen Zeit. Doch heute scheint sie noch richtig müde zu sein. Naja, es ist Freitag. Schliesslich öffnet Mina die Augen und setzt sich langsam auf. Weil es nun schon etwas später ist, sage ich: "Mina, komm runter vom Hochbett, es ist Zeit zum Anziehen. Ich zieh' dich auf der Decke." Das hilft oft. Auf diese Weise kann ich Mina bis zum Badezimmer ziehen. Ihr macht das Spass, und für mich ist es rückenschonend, weil ich sie nicht tragen muss.


Aber heute scheint es ein Problem zu geben. Ich strecke meine Hände nach der Bettdecke aus und will sie am Boden ausbreiten. Aber Mina setzt sich absichtlich auf die Decke drauf und lässt sie nicht einfach los. Dann holt sie aus, um mich zu treten. Ich gehe einen Schritt zurück. Mina schreit und will mich weiter treten. "Mina, ich geh mal deine Znünibox richten und komm dann wieder. Wenn du dich in der Zwischenzeit auf die Decke setzt, kann ich dich ziehen", sage ich und flüchte aus dem Zimmer. Ich brauche eine Pause.


Als ich nach ein paar Minuten wiederkomme, klettert Mina im Schneckentempo vom Bett herunter und setzt sich auf die Decke. Na bitte, geht doch... Aber ich habe nicht den leisesten Schimmer, was da los war. Beim Anziehen im Badezimmer sagt Mina auf einmal: "Mami, du hörst mir nie zu!" "Findest du?", frage ich erstaunt. Ich würde mich eigentlich zu den besser zuhörenden Eltern zählen, denke ich. "Ja", sagt Mina. "Ich habe vorhin im Bett zu dir gesagt: Ich will dir was sagen, und du hast überhaupt nicht zugehört."


Ich bin baff. Vorhin am Bett? Ich habe wirklich kein noch so leise geflüstertes "Ich will dir was sagen" vernommen. "Echt? Ich habe überhaupt nichts von dem gehört. Tut mir leid, Mina." Ich bin erleichtert, weil ich nun Minas Problem verstehe, und gleichzeitig sehr erfreut darüber, dass sie heute zum ersten Mal in Worte fassen kann, was für sie grad überhaupt nicht stimmte. Auf der anderen Seite wird mir wieder einmal bewusst, wie zart und leicht gefährdet die innere Ruhe bei schwer belasteten Kindern ist. Einmal von mir nicht gehört werden kann bei Mina schon reichen, und es wird für sie bedrohlich. Und sie kippt umgehend in einen gelben oder auch roten Zustand, in dem sie oft aggressiv wird.


"Bei einem so sensiblen Kind KANN man es ja nur falsch machen", sagt ihr jetzt vielleicht frustriert. Stimmt. Passiert mir immer wieder. Wir können nicht alle möglicherweise triggernden und bedrohlichen Situationen für unsere Kinder voraussehen und verhindern. Aber durchs Falschmachen bekommen wir auch die Möglichkeit, es in der Zukunft öfters richtig zu machen. Besonders dann, wenn ein Kind formulieren kann, was das Problem war. Was macht es aus, dass ein Kind irgendwann soweit ist, dass es immer öfter in Worte fassen kann, was es aus der Bahn wirft? Ich schätze, der grösste Teil besteht aus geduldiger, konstanter Beziehungsarbeit. Ich stelle mir das vor wie ein Netz, das über die Zeit gesponnen immer dichter wird und sich für ein Pflegekind irgendwann tragfähig anfühlt. Und natürlich das Alter. Weiter hilft mir selber hellwache Aufmerksamkeit für plötzlich auftretende schwierige Momente. Für mich ist es eine nützliche Kunst zu lernen, körperlichen oder auch seelischen Tritten von Mina möglichst auszuweichen, so dass sie mich nicht aus meiner eigenen inneren Ruhe bringen oder verletzen. Aber manchmal erwischt es mich wie heute Morgen auf dem linken Fuss, und ich verliere die Geduld oder werde wütend. Dann ist es gut, wenn ich mich kurz aus der Situation begebe, bis ich mich wieder beruhigt habe.


Zum Schluss: Ihr fragt euch, was mir Mina denn so Wichtiges erzählen wollte heute Morgen? Gute Frage. "Mina, was hast du mir denn nun eigentlich sagen wollen vorhin auf dem Bett?", frage ich, bevor sie sich auf den Schulweg macht. "Muesch du nöd wüsse!", antwortet Mina und verschwindet um die Ecke...




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