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  • Caroline

Die verrückte Trauer

Aktualisiert: 2. Apr. 2023

Vor 3 Wochen ist mein allseits geschätzter Schwiegervater an einer Lungenentzündung gestorben. In unserer Familie wurde er liebevoll "de Opa" genannt. Er wurde 88 Jahre alt. Alt genug zum Sterben, würde man meinen. Doch bei meinem Mann, unseren grossen Töchtern und bei mir fliessen seitdem die Tränen. Wäre es nach uns gegangen, hätten wir den Opa gerne noch behalten. Denn mit ihm konnte man Ausflüge machen, ein Bier trinken, Zug fahren oder essen gehen, kurz, das Leben geniessen. Wenn er bei uns zu Besuch war, sass er zufrieden mitten im Familientrubel, fragte die Enkeltöchter nach der Schule oder dem Studium, ihren Hobbys und Freunden und erzählte von seinen Unternehmungen.


Doch nun hat ihn eine letzte Lungenentzündung gestoppt. Dabei wollte er noch gar nicht sterben, sondern wieder gesund werden und mit uns ein Cordonbleu essen gehen. Hat er uns noch gesagt, in der Woche, in der es auf und ab ging mit ihm. In dieser Zeit gingen wir einzeln oder zu zweit immer wieder bei Opa vorbei. Ein paar Minuten, ein paar Stunden, je nachdem.


Dann, an einem Sonntagmorgen früh, hörten wir von Opas Tod. Wir fuhren zusammen ins Alterszentrum, um uns persönlich von ihm zu verabschieden. Nora wartete in ihrer WG auf uns. Vor der Abfahrt fragte Mina neugierig: "Ist der Opa dann schon weg, wenn wir kommen? Fliegt er jetzt im Himmel herum?" Wunderbare, kinderphilosophische Fragen, die harmonisch in unsere Tränen hineinpassten.


Und wie reagierte Mina auf das Auf und Ab von Opas Zustand, als er noch am Leben war? Mitten in der Schulwoche wollte sie plötzlich nicht mehr in die Schule. "Mami, ich bleibe heute bei dir", kündigte sie an, und blieb einfach im Bett liegen. Nur mit Mühe konnte ich Mina dazu überreden, in die Schule zu gehen, weil man ja in die Schule muss, ob man Lust hat oder nicht. Ich hatte den Eindruck, dass sie am liebsten nicht mehr von meiner Seite weichen würde. Ob sie sich wohl Sorgen machte, dass ich wie Opa plötzlich "sterben" und nicht mehr da sein könnte, wenn sie in die Schule gehen und mich aus den Augen lassen würde? Ich könnte es mir vorstellen. Und "ganz zufällig" war Mina die nächsten zwei Tage danach tatsächlich krank und durfte zu Hause bleiben.


Ich schätze, das ganze Hoffen und Bangen und Austauschen darüber, wie es dem Opa denn nun heute wieder ging, hat Mina viel mehr beunruhigt als Opas eigentlicher Zustand. Deshalb redete ich mit Mina darüber, dass ihre grossen Schwestern wahrscheinlich mehr weinten und durcheinander waren als Mina selbst, weil sie den Opa schon viel länger als Mina, 20 Jahre und mehr, gekannt und mit ihm Dinge erlebt hatten. Mina sagte nichts dazu, wie so oft. Aber vielleicht half es ihr, sich nicht allzu sehr "draussen" zu fühlen.


Doch zurück zu Opas Sterbetag. Nach einem letzten Besuch an seinem Bett gingen wir sechs nach Hause, assen etwas, redeten, lachten, schwiegen und weinten miteinander. Mina sass mittendrin und genoss das Zusammensein mit der Familie, war jedoch eher stille Zuschauerin. Doch als Nora am Nachmittag wieder einmal zu weinen begann, riss Mina dann doch der Geduldsfaden und sie fragte entsetzt: "Nora, weinst du jetzt echt schon wieder?" Lachen zwischen den Tränen, das half uns durch diesen ersten Trauertag. Ruhe in Frieden, Opa.


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