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Die böse Königin

  • Caroline
  • vor 2 Stunden
  • 3 Min. Lesezeit

Samstagmorgen um 8.45 Uhr. Nach dem Aufwachen gähne und strecke ich mich ausgiebig und tappe in Richtung Wohnzimmer. Es ist ungewöhnlich still in der Wohnung. Wo wohl alle sind? Mein Blick fällt auf Romeo, der vertieft in seine Zeitung am Esstisch sitzt. Dann sehe ich Mina und Julia Schulter an Schulter auf unserem kuscheligen Frottee-Sofa sitzen. Die eine ist am Handy, die andere an Julias Tablet. Mina würdigt mich keines Blickes. Auch gut. Dann schenke ich mir erstmal einen Kaffee ein. Doch…


„Mami, mach mir Milchschaum!!“, dringt schon nach wenigen Sekunden Minas Stimme fordernd an mein Ohr. O nee, bitte nicht als erstes am Tag Milchschaum, denke ich. Den macht bei uns gewöhnlich Julia. Ich finde Milchschaum unnötig und kompliziert herzustellen. Und dann der Abwasch… „Ah Mina, du weisst doch, ich kenne mich da nicht aus. Kannst du das nicht selber machen?“ Minas Gesicht verzieht sich. „Okay, okay, dann schau ich halt mal, ob ich das hinkriege“, füge ich hastig hinzu. Doch nun will Mina, dass Julia das macht. Doch die Grosse zeigt auf mich und erwidert, dass ich doch jetzt schon dran sei. Tatsächlich schaffe ich es, den richtigen Knopf zu finden und akzeptablen Milchschaum zu produzieren. „Welche Tasse möchtest du, Mina?“, frage ich wohlweislich nach. Die falsche Tasse kann bei Mina fatale Folgen haben. Doch sie gibt mir keine Antwort, sondern beginnt stattdessen zu krähen, in diesem besonderen schrillen Tonfall. Romeo und Julia verziehen sich in ihre Zimmer und lassen mich mit dem Schreihals alleine. Roter Zustand, und ich bin noch keine 10 Minuten wach…


Ich komme mir gerade vor wie die böse Königin im Märchen: Von allen geächtet und gehasst, weil niemand etwas mit ihr zu tun haben will. Dabei habe ich doch gar nichts gemacht. Irgendwann schaffe ich es, Mina wieder zu stabilisieren, und der Samstag nimmt seinen Lauf. Der kostbare Milchschaum, den ich heute Morgen subito machen musste, versinkt unbeachtet in der Tasse, die Mina nicht einmal anrührt. Seufz… Am Nachmittag ist sie zu einem Kindergeburtstag eingeladen, was mir etwas Luft verschafft. Romeo und ich nutzen die Gelegenheit zu einem Spaziergang.


Unser Weg führt an einem malerischen Weiher entlang. Während wir die Enten auf dem Wasser beobachten, erzähle ich Romeo von meinem bösen-Königinnen-Tagesbeginn. Ob er wohl nachvollziehen kann, wie ich mich gefühlt habe? „Weisst du, was du aus dem Vorfall heute Morgen Traumapädagogisches lernen kannst? Mir ist schon klar, wieso das passiert ist“, holt mich mein Liebster auf den Boden zurück. Nun bin ich aber neugierig. „Du musst wissen, dass Mina schon zwei Stunden wach war, als du aufgestanden bist. Immer wieder hat sie sich in dein Zimmer geschlichen, um nachzusehen, ob du noch atmest. Manchmal frage ich mich, ob sie Angst hat, dass du eines Tages tot im Bett liegst und weg bist. Und dann stehst du endlich auf und sagst gleich nein zu ihrer Bitte nach Milchschaum. Natürlich fällt sie da in den roten Zustand.“ Ich staune. „Aber ich hab doch gar nicht nein gesagt, sondern nur, dass ich nicht weiss, wie der Milchschäumer funktioniert, und ob sie es nicht selber machen kann.“ Doch während ich das sage, geht mir ein Lichtlein auf: Wenn Mina schon das Gefühl hatte, dass die Beziehung zu mir bedroht sei, während ich noch schlief, würde das ja bedeuten, dass sie die ganze Zeit im gelben Zustand war. Und deshalb nach mir schauen kam. Ein Wunder, dass sie mich nicht geweckt hat.


Heute hat Romeo voll den Durchblick, denke ich anerkennend. Denn im gelben Zustand braucht es nur noch einen Trigger, und jemand kann in den roten Zustand fallen. „Du hättest einfach ja sagen müssen zum Milchschaum, und dann noch ein paar Minuten warten und schauen, ob sie es nochmal sagt“, führt mein Göttergatte weiter aus. Übers warten lassen bin ich mir nicht so sicher. Aber Romeo liegt wahrscheinlich goldrichtig damit, dass es für Mina ein stärkeres auf sie Reagieren gebraucht hätte, um unsere Beziehung für sie wieder sicherer zu machen. Möglicherweise hätte sie sich dann stabilisieren und in Richtung grün bewegen können, statt in den roten Zustand zu fallen. Ach, wenn wir doch nur in die Köpfe unserer Pflegekinder hineinschauen könnten! Ein sichtbare Grün-Gelb-Rot-Ampel wäre auch nicht schlecht…


Ich denke zurück an den Vortag: Finde ich einen guten Grund dafür, dass Mina die Beziehung zu mir wie an einem seidenen Faden hängend hätte empfinden können? Natürlich! Jeden Freitag arbeite ich auswärts und bin auch abends weg. Gestern bin ich erst heimgekommen, als Mina schon schlief. Ein Klassiker also. Nächsten Samstag werde ich nach dem Aufstehen als erstes zu Mina hingehen, sie umarmen und ihr sagen, dass ich sie lieb habe. Und ihr dafür danken, dass sie mich hat ausschlafen lassen. Und dann werde ich fragen: „Darf ich dir einen Milchschaum machen, liebste Mina mein?“…


ree

 
 
 

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