Für euch, die ihr diesen Blog lest, ist natürlich klar, dass Mina nicht nur einen Pflegevater hat, sondern dass es da auch noch einen anderen, leiblichen Vater geben muss. Was ihr aber vielleicht nicht wisst ist, dass es gar nicht so einfach ist, mit einem Kind über seine leibliche Abstammung zu sprechen.
Wo das Problem liegt? Nun, in mir drin war und ist auch heute noch manchmal so ein Heile-Welt-Anteil, der am liebsten die Augen davor verschliessen würde, dass Mina auch leibliche Eltern hat. Das arme Kind soll doch nicht verletzt und mit schwierigen Fragen konfrontiert werden, so wie: Warum haben mich meine leiblichen Eltern nicht behalten? Wieso hat mein Vater nicht nach mir gesucht? Weshalb bekomme ich nie Post von meiner Mutter?
Dabei habe ich früher immer den Kopf geschüttelt über die Adoptiveltern in den Rosamunde Pilcher-Filmen, die ihren Kindern bis ins hohe Erwachsenenleben verschweigen, dass sie nicht ihre "richtigen" Eltern sind. Im Film zieht sich das so durch, bis das Drehbuch dann nach 70 Minuten Filmzeit einen Zufall einbaut, durch den alles herauskommt. "Mein ganzes Leben ist ein Lüge!" "Ich hasse euch!", schreien die adoptierten erwachsenen Kinder dann ihre Adoptiveltern an. Erst 5 Minuten vor Filmende renkt sich alles wieder ein und die erwachsenen Kinder danken ihren Adoptiveltern, weil sie immer für sie da waren. Wie kann man nur so egoistisch sein und den Kindern die Wahrheit über sich selber vorenthalten, dachte ich mir immer. Bis ich selbst ein Pflegekind im Babyalter bekam. Es gibt eben auch einen natürlichen Anteil des Beschützenwollens in uns Adoptiv- und Pflegeeltern, der dem Kind die harte Wahrheit ersparen möchte, dass es zum Beispiel einen leiblichen Vater hat, der aber einfach nicht anwesend ist.
Auf der anderen Seite war mir auch bei Mina klar, dass sie wissen muss, woher sie kommt. Bei der leiblichen Mutter war das einfacher, weil wir diese kennen. Von ihr gibt es Fotos, die ich Mina zeigen und von der ich ihr bei Bedarf erzählen kann. Ganz anders sieht es mit dem leiblichen Vater aus, von dem nur wenig bekannt ist. Aus Erzählungen der Mutter wissen wir exakt drei Dinge: Seinen Vornamen, sein ungefähres Alter und sein Heimatland.
Abgesehen davon, dass falsches Mitleid uns daran hindern kann, mit einem Kind über seine natürliche Abstammung zu sprechen, stellt sich auch die Frage, wie man in kindgerechter Weise darüber reden kann. Bei mir dauerte es lange, bis ich endliche eine Idee hatte. Als ich Mina eines Abends ins Bett brachte, sagte ich zu ihr: "Mina, weisst du eigentlich, dass du noch einen zweiten Papa hast?" Zu meinem Erstaunen setzte sich das schon fast schlafende Mädchen mit einem Ruck im Bett auf und bombardierte mich mit Fragen: "Wie heisst er?" "Wo wohnt er?" "Hast du seine Handynummer?" "Kann er herkommen?" "Sieht er aus wie ich?" Ich war verblüfft. Da hatte ich seit Jahren daran herumgerätselt, wie ich dem Kind denn nur mit diesem abstrakten und schwierigen Thema kommen könnte. Ob ich nicht schlafende Hunde wecken würde? Ob sich Mina überhaupt dafür interessieren würde? Oder ob sie in ein Loch fiele, wenn sie mit der Wahrheit konfrontiert würde?
Diese bangen Fragen hätte ich mir sparen können. Wie sich deutlich zeigte, war Mina mehr als bereit, über ihren zweiten Papa zu sprechen. Als ich mich von meiner Überraschung erholt hatte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Das schlaue Köpfchen hatte offenbar schon lange eins und eins zusammengezählt und wusste genau, dass es irgendwo jemanden geben musste, von dem sie ihre hellbraune Haut hat.
Leider hatte und habe ich noch immer keine Handynummer von Minas zweitem Papa. Deshalb kann ich ihn auch nicht anrufen und ihm sagen, dass er eine Tochter hat, die ihn gerne kennenlernen würde. Einerseits bin sehr erleichtert darüber, dass es für Mina gut und richtig war, über ihren zweiten Papa zu sprechen. Gleichzeitig schmerzt es mich für sie, dass sie ihren leiblichen Vater vermutlich nie kennenlernen wird. Dafür wird nun seit kurzem offiziell seinen wenigen Spuren nachgegangen, weil Mina ihn ja kennenlernen möchte. Nicht dass die Chancen, ihn nach sieben Jahre von der Schweiz aus noch zu finden, besonders gross wären. Aber mehr als es zu versuchen können wir nicht. Und Mina hat seit unserem Papagespräch wieder ein Mosaikstück mehr für ihre Herkunft und für ihr Leben.
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