Mann, ich bin gleich wieder auf 180, wenn ich nur schon daran denke... Was denn mein Problem ist?
Nun, vor zwei Wochen kam Mina mit der Mitteilung nach Hause, dass ihr die Kindergartenkinder in der Garderobe die Turnhose geklaut hätten. Auf jeden Fall sei die Hose jetzt weg und wir müssten eine neue kaufen. Sofort! "Mina, du musst die Turnhose wieder zurückbekommen. Geh bitte zum Hauswart und schau nochmal in der Garderobe nach. Wir kaufen doch nicht einfach so eine neue Turnhose, wenn's nicht nötig ist."
Danach herrschte Funkstille zu dem Thema. Als ich ein paar Tage später nachfragte, erklärte Mina wieder, die Hose sei einfach weg. Und die zweite gleiche Turnhose, die wir noch zu Hause hatten, wolle sie auch nicht als Ersatz. Mann, nervte ich mich! Ich dachte: Weiss das Kind denn nicht, dass Kleider Geld kosten?! Zudem kam mir Mina seltsam unkooperativ und bockig vor, als ich sie darum bat, die verlorene Turnhose in der Schule wieder aufzutreiben.
Heute Nachmittag nun kam sie von der Schule heim und sagte, wir müssten jetzt ganz dringend in die Stadt wegen der neuen Turnhose. Morgen sei wieder Turnstunde. "Mina, heute Nachmittag reicht die Zeit nur noch für die grosse Migros bei uns im Quartier. In die Stadt können wir erst wieder am Wochenende. Und zieh bitte deinen Velohelm an, wenn du mit dem Trotti mitkommst. Wir wollen doch los." Aber Mina machte ein Riesentheater: Sie zog den Helm zwar an, weinte dabei aber dicke Krokodilstränen und jammerte in einem fort, es tue so weh. "Aber der Helm hat doch sonst auch gepasst, das kann doch nicht sein", entgegnete ich verständnislos und verärgert. Wieso tut sie nur so schwierig, dachte ich. Als wir dann vor dem Laden vom Fahrrad bzw. vom Trotti stiegen, nahm Mina den Helm ab. Dabei sah ich einen breiten roten Druckstreifen, der quer über ihre Stirne verlief. Mist, Mina hatte recht gehabt, ihr Velohelm war offenbar wirklich zu klein und tat ihr weh. Und ich hatte von ihr verlangt, ihn trotzdem anzuziehen...
Mittlerweile sind wir auf der Heimfahrt. Und auf einmal dämmert mir es mir: Vielleicht war ja auch die Turnhose schon lange zu klein, aber Mina konnte mir nicht sagen, was das Problem war? Als ich sie vorsichtig darauf anspreche, ob die verschwundene Turnhose vielleicht ebenfalls zu klein war, da sie diese immerhin schon seit der ersten Klasse hat, lacht Mina und sagt: "Nein, Mami, diese Turnhose hatte ich doch schon im Kindergarten!" Ui, bin ich eine Rabenmutter! Da rege ich mich über Mina auf, weil sie scheinbar nicht auf ihre Sachen achtgibt und mich grundlos in die Stadt hetzen will, um unnötige Turnhosen zu kaufen, dabei war die Turnhose die ganze Zeit zu eng und zu klein...
Apropos grundlos: Mina hatte in dieser Geschichte einen guten Grund für ihr Verhalten. Einen Grund, den ich aber nicht kannte. Die Turnhose und der Velohelm waren zu klein und taten ihr weh. Ein erstklassiger Grund, sie nicht mehr anziehen zu wollen. Das hätte ich auch verstanden, hätte Mina mir gesagt, dass die Sachen zu klein sind. Konnte sie aber nicht. Weiter sagt mir die Traumapädagogik, dass es auch in Minas Vergangenheit einen guten Grund für ihr sperriges Verhalten in der gegenwärtigen Turnhosen- und Velohelmsache geben muss. Ich kann da nur spekulieren, aber ich könnte mir denken, dass Mina Dinge an ihrem Körper, die nicht stimmen, wehtun oder nicht funktionieren, gewaltig stressen und sie schnell in einen Zustand versetzen, in dem sie kaum noch spüren kann, wo es wehtut. Und deshalb konnte sie es mir vielleicht auch nicht erklären. Drittens lag Mina von Anfang an goldrichtig: Jetzt wo ich weiss, was Sache ist, gibt es tatsächlich nur eins: Eine neue Turnhose und einen grösseren Velohelm beschaffen. Sofort!
P.S. Unterdessen waren wir schon in zwei Kleiderläden, in denen es für mich diverse gute Turnhosen gehabt hätte. Aber für Mina kam nichts davon in Frage. Offenbar hat sie wieder mal etwas ganz Bestimmtes im Kopf. Aber das wäre eine andere (traumapädagogische) Geschichte... Heute gehen wir jedenfalls auf eine neue Runde Turnhosenjagd in die Stadt. Wünscht mir Glück!

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