Feierabend. Mina und ich spielen eines meiner Lieblingsspiele. Es heisst "Wer ist es?". Beide haben eine Tafel mit Gesichtern vor sich von allen Köpfen, die mitspielen. Zu Beginn haben wir je eine Person aus dem verdeckten Stapel gezogen. Nun müssen wir mit gezielten Ja-Nein-Fragen herausfinden, welche Person die andere wohl gezogen hat. Wer strategisch geschickt vorgehen will, fragt als erstes nach dem Geschlecht, weil man damit je nach Antwort alle Männchen oder Weibchen gleich aussortieren kann und somit schneller zum Ziel kommt.
Heute Morgen war Mina krank. Ich habe sie deshalb von der Schule abgemeldet, weil sie erbrechen musste und Durchfall hatte. Unterdessen geht es ihr wieder gut, und zum Abendessen hat sie eine Riesenportion Spätzli verdrückt. Ich erzähle: "Mina, ich habe deiner Lehrerin heute Morgen geschrieben: Mein Mädchen ist heute krank." Mina runzelt die Stiern. "Aber Mami, ich bin doch kein Mädchen." Ach nee? Mir kommt in den Sinn, dass Mina bis vor etwa einem Jahr ausschliesslich mit Jungs spielte und Pink, Rüschen und Röckchen schon immer verabscheut hat. In dieser Zeit sagte sie jeweils, sie sei ein Junge. Deshalb frage ich nun vorsichtig: "Dann hätte ich also lieber schreiben sollen, mein Junge ist krank?" Mina lacht und sagt: "Ich bin doch kein Junge!" Nun macht sich Ratlosigkeit bei mir breit. "Ja, was hätte ich denn dann schreiben sollen?"
Während ich gespannt auf Minas Antwort warte, geht das Spiel weiter:"Häsch du e Glatze?" "Nei, aber hät dis Meitli Ohrering?" "Ja." "Häsch du blondi Haar?", etc.
Schliesslich kommt Mina auf meine Frage zurück und schaut mich dabei an, als ob ich hinter dem Mond daheim wäre. "Mami, ich bin doch es Chind! Du hettsch müese schribe, dis Chind isch chrank." Ich muss lachen und staune gleichzeitig Bauklötze. Mit dieser Antwort lässt Mina mühelos alle LGBTQIA+-Debatten und *-Diskussionen weit hinter sich und konzentriert sich auf das Wesentliche: Kinder, Jugendliche, Erwachsene. Alles Lebewesen, alles Menschen. Gemeinsamkeiten, die uns alle, die wir die Erde bis heute bevölkern dürfen, verbinden. Ein toller Ansatz!
Neue Runde im Spiel. "Bisch du en Bueb oder es Meitli?", fragt Mina mich. Muss ich jetzt mein Geschlecht heute Abend auch noch definieren oder was?!? Aber nein, Mina will bloss die neue Spielrunde gewinnen und stellt die Einstiegsfrage für Clevere. Viel gelernt heute von meinem Mä..., äh Kind, denke ich.
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