Mami, immer bisch du hässig uf mich…
- Caroline
- 13. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 7 Tagen
Ich bin müde. Seit ein paar Tagen habe auch ich Minas Reizhusten, während es ihr wieder gut geht. Ich schlafe schlechter als sonst und bin deshalb für einen Moment genervt, als Mina sich heute Abend nach dem Duschen und Haarewaschen hinter meinem Rücken versteckt und sich jedesmal mit mir dreht, wenn ich versuche, sie einzucremen. Ich möchte doch nur, dass sie jetzt mitmacht und dann ihren Pijama anzieht. Auf uns warten noch der Rest der Hausaufgaben und die Kuschelzeit. Und irgendwann mein Feierabend.
Doch Mina ist mein Zeitplan egal. Sie findet es gerade lustig, mir immer wieder zu entwischen. Ärger steigt in mir auf. Normalerweise kann ich den umkanalisieren, indem ich einmal tief durchatme. Aber heute Abend geht das nicht, und ich sage: „Mina, das nervt mich jetzt, dass du mir immer wegrennst. Bitte komm zu mir und lass dich eincremen, damit wir vorwärts machen können.“ Sätze, die ich bei unseren leiblichen Töchtern in Minas Alter wahrscheinlich unverblümter formuliert hätte. Doch Minas Gesicht verzieht sich auch so schon. Innull Komma nichts bricht sie in Tränen aus und schluchzt: „Mami, immer bist du hässig auf mich!“ Dicke Krokodilstränen laufen über ihre Wangen. Ich seufze. „Mina, ich habe doch nur gesagt, dass es mich nervt, wenn du mir dauernd wegrennst. Ich bin heute einfach müde und hätte gerne bald Feierabend.“ Genauso gut könnte ich meine Worte in den Wind hinausschreien, so wenig Effekt hat das, was ich sage, auf die schluchzende Mina. Offensichtlich braucht sie mehr als das. Ich streiche ihr ein paarmal über den Rücken und sage immer wieder beruhigend: „Mina, es ist doch alles gut.“ Dann kriegt sie sich langsam wieder ein.
Wieso hat das, was ich gesagt habe, auf Mina eine solche Wirkung? Ich ärgere mich schon wieder, wenn ich nur dran denke. Bin ich etwa eine Heilige? Muss ich jedes Wörtchen auf die Goldwaage legen? Darf ich nicht auch mal wütend werden? Während ich diese Sätze schreibe, wird mir bewusst, wie viel mein Frust mit mir selber und gar nicht so sehr mit Mina zu tun hat. Ich war als Kind sehr angepasst und verschlossen, denn nach meinem Empfinden hatten meine Eltern keine Zeit und Nerven für mich und fragten wenig danach, wie es mir ging. Wütend sein war in unserer Famlie keine Tugend. Wenn sich ein Kind aufregte, wurde es entweder ignoriert oder mein Vater sagte: „Ich habe lieber Leute mit guter Laune um mich herum…“ Gut möglich, dass ich in meiner Kinder- und Jugendzeit ein unsichtbares Schild mit der Aufschrift um den Hals trug: „Niemand interessiert sich für mich und meine Gefühle.“ Und jetzt habe ich mich EINMAL genervt über Mina. Darf ich nicht mal das?
Ich schätze, ich brauche zuerst etwas Empathie für mich selber und für das Kind, das ich einmal war. Nicht schön, wenn man nie wütend werden oder sagen darf, was man empfindet. Traurig, wenn man das Gefühl hat, seine Eltern interessierten sich nicht für einen. Es tut mir gut, mich mir selbst zuzuwenden. Ja, es ist okay, dass ich mich über Minas Verhalten genervt habe.
Und nun zum Mina-Rätsel: Weshalb ist sie so super-empfindlich auf die kleinsten Schimpf-Untertöne in Romeos und meiner Stimme? Ich kann nur spekulieren. Eine für mich naheliegende Vermutung ist, dass Minas leibliche Mutter während der Schwangerschaft und nach der Geburt vielleicht öfters mal genug von allem hatte, und sie diese Zuviel-Gefühle in einer für Mina schwierigen, bedrohlichen Art äusserte, so als ob das Kind an sich das Problem wäre. Ein Fötus oder Säugling kann sich ja noch nicht „daneben“ benehmen, aber natürlich trotzdem als Belastung empfunden werden.
Ich höre euch schon fragen: „Müssen wir als Pflegeeltern nun alles perfekt machen, weil die leiblichen Eltern „ihre Arbeit“ nicht richtig gemacht haben und die Kinder nun mit dem Schaden leben müssen? Ja, unsere Pflegekinder müssen tagtäglich mit ihren unverarbeiteten Belastungen klarkommen, und wir bekommen sie auch zu spüren. Die Lösung liegt aber nicht darin, Engel zu werden, sondern darin, dass wir unsere eigenen Gefühle so gut wie möglich regulieren. Und den Rest, den unsere Pflegekinder mit ihren ultrafein eingestellten Antennen trotzdem noch mitbekommen, ansprechen: „Ich bin heute nicht gut drauf, weil… Das hat aber nichts mit dir zu tun, und du bist nicht schuld. Ich mag dich genau so gern wie immer, auch wenn ich heute müde bin. Es ist völlig normal, dass ich mich mal nerve, wenn du nicht tust, was ich dir sage. Trotzdem bist du in Ordnung, so wie du bist. Ich habe dich lieb, auch wenn du Blödsinn machst.“
Wir könnten sozusagen die 3:1-Pyramide der Traumapädagogik auch im Umgang mit den negativen Gefühlen anwenden, die die Pflegekinder in uns auslösen: Eine schwierige Gefühlsregung dem Kind gegenüber und drei Sätze stabilisierenden Beziehungsaufbau dazu.
Im besten Fall tragen unsere Pflegekinder dann ein anderes unsichtbares Schild um den Hals als ich in meiner Kindheit. Eins, auf dem steht: „Meine Pflegeeltern haben mich lieb. Sogar wenn ich sie manchmal nerve.“…

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