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Der Abschieds-Krimi

  • Caroline
  • 3. Apr.
  • 3 Min. Lesezeit

Ich sitze im Zug. Draussen fliegt die Landschaft an mir vorbei. Ich bin auf dem Weg zu einem freien Wochenende. Mina ist zu Hause bei Romeo. Der heutige Tag war ein Novum: Bis jetzt bin ich nämlich immer erst von Hause weg, wenn Mina in der Schule war. Und gepackt habe ich bloss, wenn sie schlief. Ich denke zurück…


Vor etwa vier Jahren war Mina so alt, dass sie es richtig mitbekam, wenn ich ein Wochenende weg ging. Aus Angst vor Konflikten sagte ich ihr damals erst Stunden vorher, dass ich für zwei Tag weg sein würde. Schlechte Entscheidung… Mina fiel von einem Moment auf den anderen in den roten Zustand und flippte total aus. Eine Stunde dauerte es, bis sie sich langsam wieder einkriegte.


Seitdem kündige ich es Mina immer zwei Wochen vorher an, wenn ich ohne sie verreise, und sage ihr genau, von wann bis wann ich weg sein werde. Dass sie mich nun jederzeit anrufen kann und ich mich auch mal von mir aus melde, hat geholfen. Auch der schwarze Panther gibt Mina ein Quäntchen Trost und Geborgenheit, wenn ich weg bin. Trotzdem fiel sie bis jetzt immer kurz in den roten Zustand, wenn ich die Abreise erwähnte. Diesmal nicht. Gestern fragte sie mich: „Mami, gehst du morgen mit mir ins Hallenbad?“ „Nein, Mina, morgen nicht. Du weisst doch, dass ich am Mittag auf den Zug gehe, wenn Papa heimkommt.“ Statt verzweifelt zu weinen, grinste Mina übers ganze Gesicht und sagte: „Siehst du, du gehst morgen doch ins Hallenbad - in deinem Hotel!“


Auch packen konnte ich heute Vormittag, während Mina daneben im abgedunkelten Schlafzimmer Geschichten auf dem Tablett guckte. Doch nun, eine halbe Stunde vor Abreise, packt sie mich plötzlich an den Beinen und sagt: „Bleib hier, Mami.“ „Aber Mina, du weisst doch…“ Diesmal bin ich die Überrumpelte. Damit habe ich jetzt nicht gerechnet, weil alles so gut geklappt hat. Ich umarme Mina ganz fest und denke dabei an die Baby-Fürsorge. Leider ist das auch kein Zaubermittel. Als Romeo heimkommt und ich gehen könnte, schliesst Mina die Wohnungstür ab und will den Hausschlüssel verstecken. O nein… Schnell bringe ich den Schlüssel in Sicherheit. Als nächstes will Mina mich nicht aus der Wohnungstüre lassen und rennt mir dann sockenfüssig ins Treppenhaus nach. „Also, dann komm mit bis zur Haustüre, Mina, und sag mir dort tschüss, ok?“ Aber auch vor dem Haus will sie mich nicht gehen lassen. Verzweifelt hält sie mich fest und weint: „Ich will mitkommen, ich will mitkommen!“


Langsam muss ich gehen - der Zug wartet nicht. Aber ich weiss: Mina ist im roten Zustand, diesmal im zerbrechlichen, denn sie weint und ist nicht aggressiv. Ich wiege sie in meinen Armen und murmle tröstende Worte. Romeo steht hilflos daneben und weiss auch nicht was tun. Alle Worte der Welt könnten in diesem Moment nichts ausrichten. Die Haustür steht weit offen. Auf einmal hält Romeo inne und ruft: „Mina, hörst du, dein Handy klingelt in der Wohnung oben. Willst du es nicht abnehmen? Mina hält mich weiter fest und sagt zu mir: „Das ist eh nur ein Trick von Papi, das stimmt sicher nicht.“ „Komm, wir gehen nachschauen, Mina“, sage ich und hoffe, dass das Telefon wirklich klingelt. Wenn Mina merkt, dass sie reingelegt wurde, wird alles nur noch schlimmer werden.


Mina lässt sich von mir bis zur Haustüre führen. Gott sei Dank, beide hören wir es in der Wohung oben klingeln. Schlauer Einfall, Romeo, denke ich. Ich gehe davon aus, dass er Mina von seinem Handy aus anrufen lässt, um sie von mir loszueisen. Mina zögert. Dann lässt sie mich los und rennt die Treppe hinauf. „Bis bald, Mina“, rufe ich ihr noch nach und mache mich auf den Weg zum Bahnhof.


Während ich auf den Zug warte, klingelt mein Telefon. „Liara hat angerufen, Mami. Ich gehe jetzt zu ihr und dann mit ihr in die Migros. Ich habe einen Fünfliber von meinem Sackgeld mitgenommen. Hör mal, Mami, wenn ich dann bei Liara vor dem Haus bin, muss ich auflegen.“ Gesagt, getan. Ich sehe Mina noch Liaras Wohnblock betreten, dann verschwindet sie aus dem Bild.


Liaras Anruf kam wirklich im perfekten Moment, sinniere ich. Was ich gemacht hätte, wenn Minas Handy nicht geklingelt hätte, wollt ihr wissen? Dann wäre ich länger geblieben und hätte einen späteren Zug genommen. Denn wenn immer möglich werde ich Mina nie im roten Zustand zurücklassen. Urlaub, ich komme!



 
 
 

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