Wieder mal etwas voll vermasselt! Letzthin waren wir an eine Hochzeit eingeladen und fragten uns, wie das wohl gehen würde, wenn wir unsere sechsjährige Pflegetochter Mina mitnehmen. Zuerst die steife Zeremonie in der Kirche, dann das Herumstehen beim Apéro und schliesslich der lange Abend im Schloss-Restaurant. Mein Mann möchte am liebsten mit Mina zu Hause bleiben. Mit ihr gehe er an keine Hochzeit, meint er. Am nächsten Tag bietet unsere Freundin Susanne an, dass Mina am Hochzeitsabend bei ihr übernachten könne. Bei Susanne zu Hause sei an diesem Abend Quartierfest, und Mina könne ihr helfen, vorher Schleckispiesse für alle Kinder zu machen. Das klingt super für unsere Ohren, und wir nehmen das Angebot gerne an.
Wie es der Zufall will, sind wir am Vorabend der Hochzeit bei Susanne und ihrem Mann zum Essen eingeladen. Susanne fragt, ob Mina nicht schon dann bei ihr übernachten wolle? Mina lehnt das jedoch kategorisch ab und stellt klar, dass sie überhaupt nicht auswärts übernachten wolle. Ich verspreche ihr, dass sie am Vorabend der Hochzeit nicht dort schlafen muss. Was ich nicht sage, aber denke: Mina wird vermutlich im Laufe des Abends beim Besuch einschlafen. Und ich werde sie dann bestimmt nicht nach Hause tragen, sondern bei Susanne lassen.
Es kommt wie gedacht: Im Laufe des Abends fragt Mina immer wieder, wann wir denn jetzt heimgehen würden, und irgendwann fallen ihr die Augen zu. Pro forma frage ich die schlafende Mina vor dem Heimgehen, ob sie mit nach Hause gehen möchte. Als ich am nächsten Morgen höre, dass Mina nicht negativ reagiert hat, als sie bei Susanne erwacht ist, bin ich erleichtert. Ein bisschen geschummelt zwar, aber im Ganzen gut gelöst, denke ich.
Nach ein paar Tagen beginnt sich Mina mir gegenüber zunehmend aggressiv zu verhalten, was sehr selten vorkommt. Am Wochenende wird es dann ganz deutlich: Mina tickt aus, als ich ihr sage, sie solle den ausgeschütteten Sirup bitte mit dem Lappen aufwischen. So eine Aufforderung ist normalerweise kein Problem bei uns. Doch diesmal packt mich Mina an den Haaren und versucht mich zu schlagen. Dann reisst sie an meiner Uhr und droht, sie kaputt zu machen. Es dauert mehr als eine Viertelstunde, bis Mina wieder aus diesem roten Zustand auftaucht. Als dasselbe ein paar Stunden später erneut geschieht, wird mir klar, dass ich Mina irgendetwas „angetan“ haben muss, das die Beziehung seitdem stark belastet. Als mein Mann heimkommt, sagt Mina zu ihm: "Ich hasse Mami." Klare Botschaft. Ich bin nudelfertig von den roten Zuständen dieses Tages und vom Gefühl der Ablehnung, das ich von Mina zu spüren meine. Ich beginne zu überlegen: Was könnte vorgefallen sein, das ich gar nicht gemerkt habe? Nach einigem Nachdenken kommt mir die Trickserei am Vorabend der Hochzeit in den Sinn. Das muss es wohl sein. Aber was genau?
Obwohl ich noch nicht klar sehe, setze ich mich vorsichtig in Minas Nähe und sage zu ihr: "Mina, ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe das irgendwie nicht gut gemacht mit dem Übernachten bei Susanne. Es tut mir leid. Hast du eine Idee, wie ich es wieder gutmachen kann?" Mina sagt wie aus der Pistole geschossen: „Ich will mit dir die Bücher aussortieren, die wir nicht mehr brauchen, und sie in die Stadt bringen.“ Da es bereits Abend ist, können wir die Bücher zwar heute noch aussortieren, aber erst am nächsten Tag in die Stadt bringen. Mina ist mit diesem Vorgehen einverstanden. Danach habe ich das Gefühl, es ist wieder gut zwischen uns.
Erst im Coachinggespräch ein paar Tage später verstehe ich aber wirklich, wie es für Mina wohl gewesen sein muss: Ich habe ihr versprochen, dass sie nicht bei Susanne übernachten muss und sie dann trotzdem dort gelassen, als sie eingeschlafen ist. Vertrauensbruch par excellence! Und dass ein Vertrauensbruch die Beziehung zu mir als engster Bezugsperson stark belastet, kann ich jetzt gut nachvollziehen. O Mann, und ich dachte noch, ich hätte das gut gelöst…
Es ist grad richtig schwer für mich, mir einzugestehen, dass mir trotz guter Absichten immer wieder solche Fehler passieren. Ja, aber so etwas Kleines, das für mich nur ein bisschen tricksen war, kann das wirklich sooooo schlimm sein für ein Kind mit Traumafolgestörungen? Ja, kann es, und es geschieht uns Pflegeeltern immer wieder. Das zu akzeptieren und gleichzeitig darauf zu achten, dass es immer weniger vorkommt, daran führt kein Weg vorbei, wenn wir im Leben unserer Pflegekinder etwas Gutes bewirken wollen..
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