Donnerstag Nachmittag. Es ist die erste Schulwoche nach den Herbstferien. Mina kommt von der Schule nach Hause, müde, erledigt, und wie so oft in diesem Zustand mit einer fixen Idee im Kopf: "Mami, Frau Stohler hat gesagt, wir müssen morgen für den Waldmorgen warme Hosen anziehen. Ich will in die Stadt und solche Hosen kaufen!!!!" Nun ja, eine Hose mehr könnte nicht schaden. Ich schaue auf die Uhr. Es ist jetzt viertel vor vier. Um fünf kommt die Mitarbeiterin von der Platzierungsorganisation zum Jahresgespräch. Die bleibt sicher bis halb sieben. Danach ist Abendessenszeit. Ich seufze innerlich und sehe das Drama schon anrollen. Deshalb setze ich Mina auf meine Knie und sage: "Mina, jetzt grad geht's sowieso nicht wegen dem Besuch, und um halb sieben muss ich kochen." Mina schluchzt zum Steinerweichen: "Ich brauche diese Hose unbedingt... Ich weiss genau, wie sie aussehen muss, so mit Taschen. Und diese Frau, ich will nicht, dass die kommt, dann hast du gar keine Zeit für mich..." Oje, oje. "Weisst du was, Mina? Wir haben doch noch diese grüne, wattierte Hose im Schrank. Die, die du noch nie anhattest, die hat auch Taschen und wäre perfekt für den Wald." "Nein, die will ich nicht, Mama!"
Ich überlege. Nun ja, es ist Donnerstag - also Abendverkauf. "Vielleicht könnten wir am Abend noch gehen, wenn es unbedingt sein muss. Die Läden haben heute länger geöffnet. Aber wenn wir in zwei Läden nicht die genau richtige Hose gefunden haben, müssen wir wieder heim, Mina. Flippst du dann im Laden aus und hast einen Weinanfall?" "Nein, Mami, dann nehme ich die grüne Hose."
Ich schüttle verwundert den Kopf. Trotz heftigen Weinens hat sich Mina auf meine Idee einlassen können. Und hat sie tatsächlich gesagt, dass sie die grüne Hose nehmen wird, wenn wir in zwei Läden keinen Erfolg haben? Eigentlich hat sie reagiert wie eine Siebenjährige, die sie ja bald sein wird, gar nicht wie ein Zwei- oder Dreijährige wie sonst oft... Kaum zu glauben.
Nachdem der Besuch weg ist, hoffe ich - natürlich vergeblich - dass Mina die Idee mit der Stadt in der Zwischenzeit vergessen hat. Wie ein Pfeil schiesst sie aus ihrem Zimmer, sobald sich die Türe hinter der Besucherin geschlossen hat. "Mami, können wir jetzt endlich gehen, sofort?" Ich versuche Mina klarzumachen, dass ich zuerst kochen muss, erst dann können wir gehen. Sofort öffnnen sich die Tränenschleuse wieder. Mein Mann kommt und nimmt Mina bei der Hand. "Komm, Mina, wir gehen Lego spielen, bis die Mama fertig gekocht hat. Zeigst du mir den Drachen, den du gestern noch eingebaut hast?" Mina geht tatsächlich mit, und schon bald höre ich sie im Zimmer singen.
30 Minuten später steht das Essen auf dem Tisch. Ich starte einen letzten Versuch, das Unvermeidliche abzuwenden, und hole die grüne Hose aus dem Schrank. Aus Erfahrung rechne ich aber fest damit, dass Mina von ihrer fixen Idee nicht abzubringen sein wird. Ich lege die Hose auf den Boden und sage: "Was meinst du, Mina? Das wäre doch eine super Waldhose?"
Und dann geschieht das Unerwartete: Mina schaut sich die Hose an und sagt: "Ok, ich ziehe am Waldmorgen diese Hose an und spiele dafür noch mit Papa, bevor ich ins Bett gehe. Wir müssen nicht in die Stadt". Wie eine Grosse, Siebenjährige gesprochen! Vielleicht steht Mina am Anfang einer neuen Entwicklungsphase? Dieser Gedanke rührt mich grad zu Tränen. Nach diesem langen Sommer mit Mina, der uns alles an Kraft und Durchhaltevermögen abverlangt hat, ist etwas Neues in Sicht. Mein Herz wird leicht, und ich könnte gleich losfliegen...
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